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Inobhutnahme nicht ohne Ankündigung?

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Inobhutnahme nicht ohne Ankündigung?

Beitrag von kjh-mov »

Inobhutnahme nicht ohne Ankündigung?
von Caroline Brandes, veröffentlicht am 23.10.2018 10:35 Uhr

Paar verschafft sich als vermeintliche Jugendamtsmitarbeiter Zutritt zur Wohnung einer jungen Familie

In der Neuen Westfälischen wird unter dem Titel "Paar gibt sich als Mitarbeiter des Jugendamtes aus und will Baby sehen, Der Mann und die Frau wollten angeblich nach einem Säugling sehen"1 auf einen Fall hingewiesen, bei dem sich ein Mann und eine Frau am 18.10.2018 Zutritt zu einer Wohnung eines Paares verschafft haben und deren Baby sehen wollten, in dem sie sich als Mitarbeiter des Jugendamtes ausgegeben haben. Die junge Mutter und der Vater waren zu dieser Zeit mit ihrem Baby unterwegs. Einlass erhielt der Mann und die Frau durch einen Bekannten der Eltern.

Wer mit traumatisierten Eltern zu tun hat, deren Kinder durch das Jugendamt in Obhut genommen wurden bzw. sich von einer Inobhutnahme bedroht fühlen, wird sich sicherlich vorstellen können, was dieser Fall für Erinnerungen und Ängste bei ihnen auslösen kann.

Die junge Familie in Hemmingen hat nach Bekanntgabe des Sachverhalts von sich aus mit dem Jugendamt Kontakt aufgenommen. Menschen, die schlechte Erfahrungen mit dem Jugendamt gemacht haben, werden eventuell nicht den Mut aufbringen können, um dort anzurufen und Sachverhalte zu klären.

Flucht vor dem Jugendamt

In einigen Fällen sind Eltern vor Angst vor Inobhutnahme ihres geliebten Kindes z.B. ins Ausland geflohen. Im Dezember 2017 hat z.B. eine Mutter ihren zehn Tage alten Säugling entgegen der Weisung des Jugendamts aus der Krefelder Helios-Klinik geholt. Die damals 18-jährige Mutter war hiernach mit dem kleinen Jungen in ihr Heimatland Polen geflüchtet2.

2016 berichtete RT Deutsch über einen Fall, in dem eine Familie vor dem Jugendamt nach Russland geflüchtet war (Flucht vor deutschem Jugendamt - Letzter Ausweg die Auswanderung nach Russland?)3:
"Die achtköpfige Familie Griesbach, vier Erwachsene und vier Kinder leben seit Silvester 2015 in Moskau. Sie sind mit ihrem Kleinbus aus Deutschland geflohen, um ihre Kinder vor dem Zugriff des Jugendamtes zu bewahren – obwohl ihnen diese Maßnahme nicht direkt angedroht wurde. Sie sind davon überzeugt, dass der „Kinderklau in Deutschland“ gängige Praxis ist und wollen deshalb in Russland ein neues Leben beginnen. Zurzeit kämpft die Familie für ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Russland. Viel Hilfe kommt von der russischen Bevölkerung, welche die Griesbachs mit Lebensmitteln und Babykleidung unterstützt.3"
Im nachfolgenden Video von RT Deutsch können weitere Einzelheiten zum Fall der achtköpfigen Familie Griesbach entnommen werden3:

Hier erscheint normalerweise ein Video von YouTube. Bitte wende dich an einen Administrator.
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Guter Rat?

Das Jugendamt Holzminden, vertreten durch Herrn Drews lässt in der Neuen Westfälischen darauf hinweisen, dass Hausbesuche und Inobhutnahmen in der Regel nicht von heute auf morgen erfolgen und auch nicht ohne Ankündigungen stattfinden würden und rät bei den Jugendämtern bei Zweifeln nachzufragen1.
Das Jugendamt Holzminden weist an dieser Stelle ausdrücklich darauf hin, dass Hausbesuche und Inobhutnahmen in der Regel nicht von heute auf morgen erfolgen und auch nicht ohne Ankündigung. "Bevor ein Kind in die Obhut des Jugendamtes genommen wird, müssen vorher viele andere Präventionsmaßnahmen gelaufen sein", teilt Herr Drews vom Jugendamt Holzminden mit. "Das Jugendamt beauftragt keine Fremden. Betroffene kennen ihre Sachbearbeiter."1
Wer hierzu selbst nicht den Mut aufbringen kann bzw. diesen Rat von Herrn Drews (Jugendamt Hemmingen) in Zweifel zieht, sollte sich vielleicht eher an einen Rechtsanwalt seines Vertrauens wenden.

In der Regel

Was bedeutet aber nun "in der Regel"? Openthesaurus.de4 gibt unter anderem folgende Synonyme für "in der Regel" an:
meistens (Hauptform) · größtenteils · häufig · hauptsächlich · im Regelfall · in der (überwiegenden) Mehrzahl der Fälle · in der Regel · mehrheitlich · meist · überwiegend · zumeist · pflegen zu (geh., ironisierend)
Assoziationen:

öfter · ein paarmal · etliche Male · ...
normalerweise · gewöhnlich · im Normalfall · ...
oft · etliche Male · häufig · ...

meistens (tun) · neigen (zu) · tendieren (zu) · ...
die Mehrheit (haben) · die meisten (sein) · es gibt mehr (...) als (...) · ...
(die) Angewohnheit haben (zu) · (es sich) angewöhnt haben zu · die Gewohnheit (angenommen) haben (zu) · ...
Können Eltern "in der Regel" damit beruhigt werden, keine Angst zu haben, weil "Hausbesuche und Inobhutnahmen in der Regel nicht von heute auf morgen erfolgen und auch nicht ohne Ankündigung"?

Wohl eher nicht.

In der Tat ist es nämlich so, dass Kinder auch ohne Ankündigung gegenüber den Eltern bzw. einem mandatierten Anwalt in Obhut genommen wurden. Die Autorin war selbst in einem Fall als Unterstützerin involviert, in dem vier Kinder in Unkenntnis der Mutter aus Kindergarten und Schule in Obhut genommen wurden. Die Kinder waren durch dieses Ereignis dementsprechend traumatisiert.

Der Fall der Familie Bergmann

Im Fall der Familie Bergmann4 fand die Inobhutnahme während eines Krankenhausaufenthalts (08.05. bis 10.05.2017) statt. Sie haben dieser Inobhutnahme "freiwillg" zugestimmt, um nicht ihr Sorgerecht entzogen zu bekommen. "Am Tag der Übergabe an die Pflegemutter waren Michael Bergmann und die Großmutter mütterlicherseits vor Ort, denn an diesem Mittwoch war „Chemo-Tag“ – somit konnte die Mutter aufgrund ihrer Infusion nicht dabei sein.5" Die Inobhutnahme wurde offensichtlich bewusst in die Zeit gelegt, in der die Mutter ihren "Chemo-Tag" hatte.

Eine Chemotherapie ist für sich bereits belastend. Die Mutter von Lena musste nach ihrem "Chemo-Tag" nicht nur die Behandlung verkraften, sondern auch den Tatbestand, dass sie sich nicht einmal persönlich von ihrem Baby verabschieden konnte.

Seitens des Jugendamts wurde nicht einmal ein möglicher Täter für die mutmaßlichen Misshandlungen von Lena ausgemacht. Soll nun die Mutter, der Vater oder beide Eltern Lena misshandelt haben? Obwohl die strafrechtlichen Ermittlungen gegen die Eltern eingstellt wurden, blieb Lena in der Bereitschaftspflege. Ein Sprecher des Amtsgerichts teilte der Journalistin Dorothee Pfaffel von der Augsburger Allgemeinen mit:
„..., dass ein Familienrichter keine Beweislast habe, er müsse auch keinen Täter ermitteln. Es gehe ihm rein darum: Befindet sich ein Kind in Gefahr? Und wenn ja, wie kann man diese abwenden? Daraus ziehe er dann seine Schlüsse. Ambulante Maßnahmen hätten im Fall der Bergmanns nach Ansicht des Richters am Amtsgericht Neuburg nicht ausgereicht. An der schwierigen Situation innerhalb der Familie habe sich nichts geändert. Der Zustand der Überforderung, aus dem heraus die Misshandlung entstanden sein könnte, wie Dipl.-Psych. Dr. S. in der Gerichtsverhandlung erklärte, könne jederzeit wieder auftreten.“6
Es müssen viele andere Präventionsmaßnahmem gelaufen sein

Herrn Drews (Jugendamt Hemmingen) teilt zudem gegenüber der Neuen Westfälischen mit, dass "bevor ein Kind in die Obhut des Jugendamtes genommen wird, müssen vorher viele andere Prävantionsmaßnahmen gelaufen sein1".

Das sollte so sein. Dies ist in der Regel aber nicht immer so.

Im Fall der Mutter und ihren vier Kindern hätte z.B. erst einmal eine Pflegschaft durch die Großeltern bzw. weiterer Angehöriger in Betracht gezogen werden müssen. Auch im Fall Bergmann hätten zwei Großelternpaare zur Verfügung gestanden. Stattdessen wurden all diese Kinder dem Kinderheim bzw. einer Pflegestelle zugeführt. Darüber hinaus hätten gerade auch im Fall der Familie Bergmann weitere niedrigschwellige Alternativen zur Verfügung gestanden, bis die strafrechtlichen Ermittlungen abgeschlossen waren.


Fußnoten:
  1. Paar gibt sich als Mitarbeiter des Jugendamtes aus und will Baby sehen, Der Mann und die Frau wollten angeblich nach einem Säugling sehen, Neue Westfälische, 22.10.2018 | Stand 22.10.2018, 09:57 Uhr, https://www.nw.de/lokal/kreis_hoexter/h ... sehen.html, zuletzt aufgerufen am 23.10.2018
  2. Stirken, Norbert; Voss, Jens; Nach Flucht aus Krefelder Klinik: Vermisster Säugling in Polen und wohlauf, RP Online, 06.12.2017, https://www.msn.com/de-de/nachrichten/p ... ar-BBGjmQ9, zuletzt aufgerufen am 23.10.2018
  3. RT Deutsch, Flucht vor deutschem Jugendamt - Letzter Ausweg die Auswanderung nach Russland?, 15.08.2016, https://www.youtube.com/watch?v=J3dISgVitGE, zuletzt aufgerufen am 23.10.2018
  4. "In der Regel", openthesaurus.de, https://www.openthesaurus.de/synonyme/in+der+Regel, zuletzt aufgerufen am 22.10.2018
  5. Brandes, Caroline; Der Fall der Familie Bergmann, Eine Familie im Würgegriff medizinischer und psychologischer Gutachter, 28.06.2018, fall-bergmann_01, zuletzt aufgerufen am 23.10.2018
  6. Pfaffel, Dorothee, „Prozess in Neuburg, Vater verliert vor Gericht sein Kind, dann stirbt seine Frau“, 05.06.2018, https://www.augsburger-allgemeine.de/ba ... 88311.html, zuletzt aufgerufen am 23.10.2018
Wortzählung: 1412
"Wer nichts weiß, muss alles glauben."
Marie von Ebner-Eschenbach

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